Wie kann Performance intervenieren, wenn Menschen tiefe Meinungsverschiedenheiten haben? Auf diesem Blog findet ihr Updates und Infos zu unserem Langzeitprojekt.
Im Rahmen der zweijährigen Förderung von Stadt Zürich Kultur und in enger Zusammenarbeit mit der Gessnerallee Zürich arbeiten wir derzeit an dem Langzeitprojekt „Der Widerspruch“. An verschiedenen Orten und in verschiedenen Formaten beschäftigen wir uns mit der Frage, wie Theater und Performance intervenieren können, wenn Menschen tiefe Meinungsverschiedenheiten haben.
Wir haben danach gesucht, wie wir uns als politische Theaterschaffende zur Radikalisierung und Polarisierung innerhalb verschiedener Gesellschaften verhalten können. Dabei sind wir auf eine Methode zurückgekommen, die uns seit Längerem beschäftigt: Das Lehrstück. In diesem Format lernen die Anwesenden nicht durch Zuschauen, sondern indem sie selbst sprechen und handeln und sich so aktiv in Positionen hineinversetzen, die ihrer eigenen zuwider laufen. Aus diesen Perspektivwechseln ergibt sich dann im Idealfall ein tiefes Verständnis für alle Parteien des verhandelten Konflikts.
Im Zentrum unserer Arbeit stehen nicht die „Produkte“ und „Produktionen“, die in öffentlichen Veranstaltungen sichtbar werden, sondern der dahinter liegende politisch-künstlerische Aushandlungsprozess. Unser Anliegen ist es, mit den Mitteln des Theaters ein Themenfeld auszuloten und mit vielen Menschen darüber zu sprechen und zu streiten.
Aus diesem Grund haben wir uns im Rahmen von „Der Widerspruch“ entschieden, auf eine iterative Weise zu Arbeiten: Anstatt für einen Abend zu proben, der irgendwann Premiere hat, wiederholt wird und dann auf Gastspiel geht, bleiben wir in einer künstlerischen Suchbewegung, die sich an verschiedenen Orten in öffentlichen Veranstaltungen manifestiert, die sich jedoch von Ort zu Ort verändern. Die Gessnerallee dient uns dabei als „Mutterschiff“, mit dem und von dem ausgehend wir zu anderen Orten aufbrechen.
Am 15. August 2018 fand in der Südbühne der Gessnerallee die „Erste offene Probe statt“. Dort lasen wir gemeinsam mit dem Publikum Transkripte von Streitgesprächen und spielten in verteilten Rollen eine kontroverse Facebook-Diskussion nach.
Die „Zweite offene Probe“ fand am 5. September 2018 im Studio 1 der Gessnerallee Zürich statt. Wir präsentierten verschiedene Formen des Nachspielens von Streitgesprächen, experimentierten mit Psychodrama und besprachen die Wirkung der Versuche mit den Gästen.
Vom 27. September bis 11. November 2018 waren wir etappenweise zu Gast in der Ausstellung „Vulnerable Histories (A Road Movie)“ im Migros Museum für Gegenwartskunst. Der Künstler Koki Tanaka verhandelte darin den Rechtspopulismus und Anstieg von gewaltvoller Sprache gegen die koreanische Minderheit in Japan. In der Ausstellung führten wir Gespräche mit den Besucher*innen, veranstalteten thematische Museumsführungen und Diskussionen. Zudem lasen wir mit den Gästen der Ausstellung in verteilten Rollen das eigens verfasste Lehrstück „Der Aufstieg des Jair Messias Bolsonaro“, das sich kurz nach der Wahl des titelgebenden rechtsextremen Kandidaten mit dem Rechtspopulismus in Brasilien befasst.
Ab dem 24. November 2018 arbeiteten wir am Institut für theatrale Zukunftsforschung im Zimmertheater Tübingen an der nächsten Iteration: „Der Widerspruch – Ein Lehrstück“, die am 12. Januar 2019 erstmals mit einem Publikum gespielt wurde und bis zum 8. Februar stattfinden wird. In der Probenarbeit haben wir uns intensiv mit den Themen beschäftigt, die derzeit in der Stadt und darüber hinaus strittig sind und daraus eine Mischung aus Lecture-Performance und Musical erarbeitet, die das Publikum mit Liedblättern und textlich veränderten Karaoke-Songs dazu einlädt, mitzumachen.
Am Theater Rampe Stuttgart zeigen wir am 20. bis 23. März 2019 die Weiterentwicklung „Der Widerspruch – Ein Stück ohne Publikum“. Dafür werden wir das in den vorigen Etappen entstandene Material neu anordnen und das Publikum auf neue Formen beteiligen. Das Publikum wird beispielsweise verschiedene Chöre bilden, die sich streiten und musikalisch verschiedene Positionen vertreten.
Im Nordflügel zeigen wir am 10., 12. und 14. April „Der Widerspruch – Ein Karaoke Musical“. Ausgehend von dem enstandenen Material und den erprobten Formen der Partizipation ensteht ein Lehrstück, das komplett von den Gästen getragen wird. Die Unterscheidung zwischen Spieler*innen und Zuschauer*innen ist aufgehoben. Der Abend beginnt mit einer extrem kurzen Konzeptionsprobe, führt in die gemeinsame Aufführung des Musicals und endet mit einem inhaltlichen Nachgespräch.
Koproduktion: Gessnerallee Zürich, Migros Museum für Gegenwartskunst, Institut für theatrale Zukunftsforschung im Zimmertheater Tübingen, Theater Rampe Stuttgart
Mit freundlicher Unterstützung von: Stadt Zürich Kultur