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Liebe Freunde und Kollegen, hier der Inhalt einer Mail die ich gerade an die Sophiensaele geschickt habe. Ich würde mich freuen wenn ihr das kommentiert und wir darüber ins Gespräch kommen!

Sehr geehrtes Team der Sophiensaele,

Heute wollte ich in ihrem Theater die Vorstellung von „Leopardenmorde“ des Zürcher Kollektivs „K.U.R.S.K.“ sehen. Ich bin zu diesem Zweck extra nach Berlin angereist und habe leider im Voraus vergessen meinen Handyakku aufzuladen.

Um circa 18.30 habe ich an der Kasse der Sophiensaele gestanden um mir die für mich reservierten Karte für die Vorstellung abzuholen. Leider musste ich erfahren, dass die Vorstellung abgesagt wurde. Auf meine Nachfrage warum, wurde mir vom Kassenpersonal mitgeteilt, dass man das nicht so genau wisse, aber höchstwahrscheinlich einer der Performer krank sei. Ich bin dann in die Vorstellung „Love Fiction Human Process Interventions“ von Rylon®“ gegangen.

Nach dieser Vorstellung habe ich nochmal an der Kasse nachgefragt, warum die andere Vorstellung ausgefallen sei und man teilte mir zum zweiten Mal mit, dass man das nicht wisse.

Ich bin dann nach Hause gegangen mit einer gewissen Sorge, da die Mitglieder des K.U.R.S.K. Kollektivs persönliche Freunde von mir sind und ich nicht wusste was los war. Zuhause angekommen und mit frisch geladenem Akku musste ich erfahren, dass die Vorstellung aufgrund künstlerischer Differenzen abgesagt wurde. Ich habe erfahren, dass die künstlerische Leitung der Sophiensäle den Afrikadeutschen die die Vorstellung besuchen würden die Sprache des Stückes nicht zumuten wollten. Das Stück ist eine Dramatisierung eines unveröffentlichten Romans aus der deutschen Kolonialzeit und operiert aus diesem historischen Grund viel mit dem Wort „Neger“.

Mir wurde berichtet, dass die Sophiensaele ihr Publikum nach der gestrigen Vorstellung dieser Sprache nicht nochmal aussetzen wollten. Auf die Nachfrage der Gruppe K.U.R.S.K. ob das Publikum das nicht selbst entscheiden könne wurde mit Nein geantwortet.

Nun zu mir und warum ich diese Nachricht schreibe. Ich habe dieses Stück nicht gesehen und fühle mich weder in der Position noch in der Lage die Inhalte und Ästhetiken des Abends zu verteidigen, oder das Absagen der Sophiensaele dieser Vorstellung an sich zu kritisieren.

Wozu ich mich aber gezwungen fühle, ist zu sagen, dass ich es für schlicht feige halte als künstlerische Leitung eines Theaters/Performanceortes eine Vorstellung aus künstlerischen und inhaltlichen Gründen abzusagen und mir als Zuschauer an der Kasse zu erzählen, ein Performer wäre KRANK. Ich dachte: Na gut, vielleicht gibt es ja ein Statement auf der Website, aber Fehlanzeige. Dort steht nur:
Die heutige Vorstellung von „Leopardenmorde“ muss leider entfallen.
Bereits gekaufte Tickets werden zurückerstattet.

Wenn ich nicht durch persönliche Kontakte die Möglichkeit gehabt hätte zu erfahren was passiert ist, wäre ich für immer in dem Glauben geblieben die Vorstellung wäre „einfach“ ausgefallen.
Das halte ich für sehr sehr falsch. Ein Konflikt dieser Art sollte Anlass sein sich zu positionieren, sich auszutauschen, ein Publikumsgespräch zu veranstalten, die Aktion zu stürmen, ein Flugblatt mit Infos zu verteilen, ein Gespräch mit deutschafrikanischen Performern zu organisieren, sogar von mir aus die Vorstellung abzusagen. Aber dann bitte bitte mit dem Mut, als künstlerische Leitung diese Entscheidung zu kommunizieren und sich zu positionieren. Hier wurde nichts davon getan. Man hat versucht einen Konflikt um ein heikles Thema tot zu schweigen. Man hat dem Publikum die Möglichkeit entzogen sich eine Meinung zu bilden und man hat dem Kollektiv „K.U.R.S.K.“ eine fest zugesicherte Veranstaltung gestrichen, ohne ihnen die Möglichkeit zu geben sich zu erklären und zu verteidigen.

Ich als Theaterschaffender, aber vor allem auch als Besucher finde dieses Verhalten beschämend. Ich fühle mich als Publikum nicht ernstgenommen und erschrecke als Theatermacher vor dem Vorgehen und ich empfinde eben dieses Vorgehen als Zensur im eigentlichen Sinne des Wortes, nämlich das Unterdrücken von Inhalten und dem Diskurs darüber.

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass ich mit diesem Statment nicht sagen will, dass die Sophiensaele kein Recht hätten ein Stück dieser Art nicht zu zeigen, oder, dass ich eine Sprache dieser Art unproblematisch finde oder sinnvoll mit historischen Konflikten und dem Thema Kolonialismus so umzugehen und ich habe die Vorstellung wie gesagt auch nicht sehen können. Das ich das nicht konnte und jetzt nicht weiss worüber ich spreche haben die Sophiensäle für mich entschieden. Eine offensichtliche Zensur vorzunehmen und dann nicht einmal den Mut zu haben zu dieser zu stellen und das Potenzial zu nutzen, das aus diesem Konflikt entsteht verurteile ich zutiefst.

Ein solches Verhalten, eine solche nicht-Würdigung der Kompetenz eines Publikums und einer Gruppe von Theaterschaffender spricht für mich nicht für die Leitung eines Ortes der Diskurs und Austausch zu gesellschaftlich relevanten Themen fördern sollte.
Ich fühle mich dazu genötigt dies anzusprechen, da ich denke dass in solchem Verhalten auch der Kern liegt der zur überall zu beobachtenden Spaltung unserer Gesellschaft führt. Wenn wir in unseren „Social Bubbels“ so gefangen sind, dass das Verhalten der Anderen, unserem Denken nicht konformen einfach als falsch abgestempelt und dann ignoriert wird, ohne in irgendeine Form des Diskurses zu treten, schaffen wir eine Spaltung zwischen uns und nehmen uns die Möglichkeit uns zu begegnen und in politische Diskurse zwischen verschiedenen Gruppen zu treten.

Ich bitte das Team der Sophiensaele sich zu diesem vorliegenden Fall transparent und öffentlich zu positionieren. Ansonsten bin ich nicht bereit mich als Publikum damit abspeisen zu lassen angelogen zu werden, sondern werde diese Erklärung weiterhin einfordern bis ich sie erhalte.

Mit freundlichen Grüssen Stephan Stock

Ein Kommentar zu “offener Brief zur Zensur von „Leopardenmorde“ an den Sophiensaelen

  1. «Leopardenmorde» wurde in Zürich, Gessnerallee produziert und ist ein kluges, provokantes und aktuelles stück über das erbe einer rassistischen, menschenfeindlichen ideologie und die fragen welche nähe es heute möglicherweise zwischen rechts- und linksradikalistischem populismus gibt. teil der sehr authentisch-biografischen aufführung sind zitate aus einem afrikaroman aus den 1930er jahren im o-ton. diese zitate sind inhalt, gegenstand und auseinandersetzung des ganzen stückes. sie sind mehr als „gerahmt“ durch die textarbeit im stück.
    ich persönlich wäre nie auf den gedanken gekommen, das stück deswegen zu kritisieren oder sogar zu verbieten, wie jetzt in berlin. ich halte die entscheidung in berlin für ein vorschnelles, falsch-verstandenes, protektiv-ängstliches ausblenden von geschichte und dessen erbe, um das wir bemüht sind es zu entlarven, zu bekämpfen und uns dazu verhalten.
    (künstlerisch gibt es weit provokantere und schwierigere entscheidungen mit einer menschenfeindlichen rhetorik im o-ton umzugehen, sei es milo rau mit dem vorlesen des breivik-traktats oder romuald karmaker’s himmler-projekt.)
    anke hoffmann, vermittlung, gessnerallee zürich

    anbei noch ein interview, dass ich mit den künstler_innen des stückes im vorhinein geführt habe und das online hier zu finden ist:
    http://www.gessnerallee.ch/mehr-lesen/2016/kursk_leopardenmorde/

    Im Gespräch mit K.U.R.S.K.
    Timo Krstin (TK), Liliane Koch (LK), Lukas Sander (LS), die Musikerin Rosanna Zünd ist abwesend

    Anke Hoffmann (AH): Worum geht es in «Leopardenmorde»?

    TK: Es geht darum, dass ich als Kind ein Romanmanuskript auf dem Dachboden gefunden habe, das mein Grossvater geschrieben hat – das ist eine wahre Geschichte – als er in den 1920er Jahren als deutscher Kolonialherr in Afrika war und dort Sisal angebaut hat. Er hat dort einen Roman geschrieben, in dem er das Verhältnis zwischen Afrikanern und Weissen beschreibt und den Übergang von deutscher zu britischer Kolonialherrschaft.
    Ursprünglich dachten wir, es wäre total interessant, die Blicke auf das Verhältnis von Weissen und Afrikanern von vor 100 Jahren und heute zu vergleichen – heute vor allem in Bezug auf Nordafrikaner in Deutschland oder auch Eritreer hier in der Schweiz, die in der Berichterstattung häufig als Bedrohung gezeichnet werden. Das war der ursprüngliche Gedanke. Dann fanden wir in unserer Recherchearbeit aber spannender, dass der Grossvater in seiner rassistischen Ideologie extrem zwischen «rechts» und «links» gependelt ist. Er war Faschist und später überzeugter Friedensaktivist in der BRD. Das hat uns in Bezug auf unsere heutige Zeit interessiert, weil wir es so wahrnehmen, dass die Protestbewegungen in den 1990er Jahren mehrheitlich links strukturiert waren und heute vermehrt von rechten Gruppierung okkupiert werden. Das fanden wir interessant an der Biografie des Grossvaters und an seinen Texten – wir haben sehr viele davon gelesen – wie er einerseits den auch heute grassierenden Rassismus im Umgang von Weissen und Afrikanern behandelt und genauso die Unschärfe zwischen rechts und links vorwegnimmt.
    Also wer oder was ist Pegida eigentlich? Da ist ganz viel klassisches linkes Wählerpotenzial. Daher ist unsere These: entweder sind das alles linke Bewegungen, man bezeichnet sie nur als rechts – oder vielleicht waren es schon immer rechte Bewegungen und wir haben uns vorgemacht, das wir keine Rassisten wären. Solche Fragen untersuchen wir anhand der Texte, die mein Grossvater geschrieben hat und spielen das in einem Stück, das einer Krimilogik folgt, um herauszufinden, wer und was er wirklich war.
    LK: Der Grossvater steht auch für eine Figur, die beispielhaft zeigt, wie Menschen sich bessern können. Er war auf der einen Seite ein ranghoher Nazi und auf der anderen jemand, der nach dem Krieg mit wehenden Fahnen dafür eingetreten ist, dass man sich als Deutscher für nichts anderes mehr einsetzen kann und darf, als für den Weltfrieden. Dafür haben wir die Reden, die er für die Deutsche Friedensunion gehalten hat, immer wieder gelesen. Die sind so überzeugend und gut geschrieben, dass man erstmal geneigt ist, dem zu glauben. Und wir fragen uns: Geht das? Kann man sich wirklich in dem Masse verändern?
    LS: … Wer ist dieser Mensch? Glaubt man ihm diese Veränderung? Glaubt man sich selbst und wer sind wir?
    LK: Es geht nicht in erster Linie um den Grossvater, sondern es geht um die Figur dieses Grossvaters und dem Pendeln zwischen politischen Extremen. Das, was wir da versuchen, funktioniert sehr parabelhaft.

    AH: Ich nehme an, du hast deinen realen Großvater nie kennengelernt… ?

    TK: Ja, dieser Grossvater ist eine völlig geisterhafte Figur für mich, denn er ist 1895 geboren und hätte eigentlich mein Urgrossvater sein sollen und er ist 1978, also vor meiner Geburt, schon gestorben.

    AH: Und was hat ihn nach Afrika gebracht?

    TK/LK: Einfach Abenteuerlust. Das war damals bereits Tansania, nicht mehr Deutsch-Ostafrika. Aber die Diskussionen und ideologischen Kämpfe um eine mögliche deutsche Kolonie in Afrika liefen noch und er war dort als deutscher Patriot in Ostafrika, als Sisal-Pflanzer in Tansania, von 1925 bis 1931.

    AH: Warum ist er dann zurückgekommen?

    TK: Weil er pleite gegangen ist. Sisal ist ein sehr interessantes Produkt. Kurzfristig war es damals extrem wichtig, weil es in der Kriegsindustrie für die Schiffsseile gebraucht wurde. Und das führte zu einem richtigen Sisalboom und viele hofften, davon zu profitieren. Aber kurz vor dem Krieg hatte man Nylon entdeckt und damit verschob sich der Handel komplett und viele sind pleite gegangen.

    AH: Solche Biografien stehen ja für die Geschichte des 20. Jahrhunderts …

    TK: … also ich würde behaupten, dass er mit seiner Biografie das komplette 20. Jahrhundert abdeckt. Und das auf einer Ebene der umgekehrten Geschichte, also keine Geschichte „von oben“ sondern im Sinne dieser Strassenkampflogik. Er war auch als Nazi in dieser Strassenprotestbewegung verankert und hat sich da immer zuhause gefühlt, er hat es später immer so hingestellt, dass er sich von dem sozialistischen Programm der Nationalsozialisten angezogen gefühlt hat, das aber nie richtig verwirklicht wurde. Er hat sich in extrem kurzer Zeit bei den Nazis hochgearbeitet. War erst in der SA und dann später in der SS.
    Nach dem Krieg war er Protagonist in der Friedensbewegung. Daher ist seine Biografie stellvertretend für das 20. Jahrhundert eine Geschichte von unten, so gesehen.

    AH: In eurer Aktualisierung seiner Stellvertreter-Biografie geht es auch darum, mit welchen einfachen Logiken und verbalen Behauptungen Massen zu beeinflussen sind, also um Populismus?

    TK: Das ist sein Hauptberuf gewesen…
    LK: … er war Propagandaredner … Er hat zwar als Sisalplantagenbesitzer zeitweise sein Geld verdient: Er war als deutscher Kolonialherr für sechs Jahre (1925 – 1931) in Ostafrika, Tanzania, damals hiess es noch Tanganjika und eben nicht mehr Deutsch-Ostafrika. Er war von seinem Selbstverständnis her aber hauptsächlich Künstler und Schriftsteller. Deswegen war er als Propagandaredner in verschiedenen Parteien so erfolgreich, weil er gut schreiben konnte. Er hat es verstanden, sein künstlerisches Talent politisch zu nutzen. Aber mit dem Roman und den Märchen (die wir auch gefunden haben) hat er es nicht so weit geschafft wie mit seinen politischen Reden.
    LS: Diesem Umstand verdankt es sich auch, dass unser Stück teils ein Recherchenprojekt ist und auf der anderen Seite mit literarischen Quellen arbeitet und eine literarische Form sucht.

    AH: Das wäre jetzt genau meine Frage. Ihr habt angefangen mit diesem Romanmanuskript und euren Fragen nach den Parallelen einer historischen Biografie und einer Befragung heutiger Verhältnisse. Wie nähert ihr euch an?

    TK: Die Struktur ist eigentlich ganz einfach. Ich erzähle die Geschichte und parallel dazu gibt es die Geschichte all der Demos auf denen ich gewesen bin – das war auch der Grund, warum man mich mit ihm vergleichen hat, weil ich auf Demos öfter Reden gehalten habe … Wir reflektieren stilisiert die Demobewegungen der späten Bundesrepublik bis hin zu Pegida, von links nach rechts, und versuchen im Blick von der Grossvater-Geschichte Aussagen darüber treffen zu können, warum viele heutige Protestbewegungen, wieder so stark ins Rechts-Nationale kippen.

    AH: Gibt es da auch Parallelen zur Schweiz? Gerade in Bezug auf national-konservative Bewegungen, die ja auch hier sehr populär geworden sind.

    TK: Ich finde, wenn wir es schaffen eine interessante Aussage zu treffen, dann ist die auch auf die Schweiz anzuwenden.
    LK: … zumal ja in ganz Europa rechte Bewegungen auf dem Vormarsch sind. Es geht wieder um Nationalismus und Abgrenzung von anderen nationalen Identitäten. Insofern ist es kein prinzipiell deutschen Stück, auch wenn es um eine deutsche Biografie geht und wir im Team mehrheitlich Deutsche sind.
    Ausserdem wichtig: Die Schweizerin in unserem Team– die Musikerin und Komponistin Rosanna Zünd – ist heute zum Interview nicht dabei. Sie ist verantwortlich für das musikalische Konzept von „Leopardenmorde“.

    AH: Inwieweit spielt ein Vergleich der historischen Kontexte eine Rolle, der damalige und der heutige gesellschaftliche Kontext eine Rolle?

    TK: Wesentlich dazu ist die Frage nach seinem Blick von damals auf Menschen aus Afrika und dem heutigen. Das ist ja auch ein ganz wichtiges Thema für die Schweiz. Wo gibt es da Parallelen oder vererbte Gedanken? Und ist das, was in seinem Afrikaroman steht und jetzt immer noch – wieder – salonfähig ist, wenn Björn Höcke (AfD) eine Rede darüber hält, dass „der Afrikaner“ den „Ausbreitungstypen“ verkörpert und viele Kinder produziert, während der Europäer weniger Kinder hat und somit in Zukunft immer mehr an Präsenz verlieren wird, einfach unser kulturelles Erbe oder mehr als das?
    LS: Hin zu der Frage, ob sich vermeintliche politische Gegner nicht näher stehen in ihren Überzeugungen, als man erst gedacht hätte. Da gibt es ja genug Beispiele – damals wie heute – für ehemals Linke, die zu überzeugten Rechten werden.
    TK: … und er hatte sogar einen Plan – das haben wir erst in der Recherche wirklich herausgefunden – wie er sein Gedankengut an seine Enkel vererben wollte. Das hier als Teaser.

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