die zweite aufführung von „leopardenmorde“ (1) an den sophiensaelen wurde von seiten des hauses abgesagt, obwohl das team das konzept kannte (in dessen zentrum die überaus kritsche ausseinandersetzung mit dem rassistischen romanversuch eines ss-verbrechers steht) und obwohl eine an dieser entscheidung beteiligte die premiere in zürich gesehen hat. das wird aus der stellungnahme (2) nicht ersichtlich. mit ihrem auf mehreren ebenen intransparenten vorgehen haben sie das kollektiv einer öffentlichen empörung ausgesetzt, die oftmals mit einer unkenntnis des stückes einhergeht (3).
„leopardenmorde“ verhandelt deutsche kolonialgeschichte, arbeitet verbrechen im dritten reich mit grosser präzision auf und – und das halte ich für entscheidend – untersucht, indem es eine reale figur, die vom ss-mann zum friedensaktivisten wurde, heutigen phänomenen gegenüber stellt, nämlich wie aus stuttgart 21 wutbürger*innen afd-wähler*innen werden können, wie linkes denken in rechtes denken umschlagen kann und umgekehrt und auf welchem schmalen grat wir uns zum teil bewegen. in diesem zusammenhang ist es bemerkenswert, mit welcher hitze sich verschiedene linke positionen sich hier gegenseitig den vorwurf machen, sie würden das bestärken, was sie kritisieren (also versehentlich rechts sein).
die kritik, dass die argumentation von einer privilegierten, weissen sprecher*innen-position aus geäussert wird, kommt hier oftmals ebenfalls aus einer privilegierten, weissen sprecher*innen-position, die sich aber im gestus unterscheidet. während die kritisierten darauf verweisen, dass es wichtig sei, sich schonungslos mit seiner eigenen täter*innen-position auseinanderzusetzen und dass es deswegen im rahmen der kunst notwendig sein kann, eben das – als zitat gerahmt – auf die zu bühne zu bringen, was man bekämpfen will und sich dabei (zum teil recht pathetisch) auf die meinungsfreiheit beruft, zeichnen sich die kritisierenden mit ihren sprechakten als fürsprecher*innen der betroffenen von physischer, struktureller und sprachlicher gewalt und eilen voran – die ersteren oft indirekt oder direkt als rassist*innen diffamierend – die jenigen zu verteidigen, von denen sie meinen, dass sie sich angegriffen fühlen.
aber so wie man der einen seite vorwerfen kann, dass ihre empörung über die „zensur“ und die „polical correctness“ (ein fragwürdiges konzept, da es nie affirmativ verwendet wird, sondern immer nur im zuge einer kritik) lächerlich ist, im vergleich zu dem, was die jenigen erleiden, die tatsächlich von rassismus und diskriminierung betroffen sind, kann man der anderen seite vorwerfen, dass sie die tatsache, dass sie sich für die betroffenen aussprechen (was man – da sie oftmals nicht für sich selbst sprechen, sondern für andere – als paternalistisch betrachten könnte) als moralische überlegenheit gegenüber ihresgleichen ausspielen.
beides ist problematisch, weil eine diskussion oftmals nicht mit den betroffenen stattfindet, sonder über sie. es kann, um es zynisch zu sagen, so wirken, als ginge es hier eben nicht so sehr um die würde der betroffenen, um dekolonisierung des geistes und um bekämpfung des rassismus, sondern vielmehr um die eigene positionierung und selbst-inszenierung als politsches, kämpferisches und rechtschaffendes individuum, durch radikale abgrenzung gegenüber den anderen, die falsch liegen.
ich würde es insfern begrüssen, wenn die jenigen, die selbst nicht betroffen sind, sich weniger einseitig und feindseelig gegenüber einander positionieren und wenn stattdessen ein differenzierter und nuancierter dialog gesucht wird, der die betroffenen einschliesst, welchen viel eher das recht zukommt, empört zu sein über die eine oder über die andere hier skizzierte position.
(1) http://www.gessnerallee.ch/programm/festival/4051/#/4042-4041
(2) https://www.facebook.com/Sophiensaele/posts/1251659771562767 – ebenfalls am ende dieses posts
(3) beispielsweise in den kommentaren zu diesem beitrag: https://www.facebook.com/stephan.stock.5/posts/10205990525520644
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Stellungnahme zur Absage der zweiten Aufführung von „Leopardenmorde“ am 16. November 2016:
Die zweite Vorstellung der Freischwimmer-Produktion „Leopardenmorde“ von der Schweizer Performance-Gruppe K.U.R.S.K. am 16. November 2016 wurde aufgrund künstlerischer Differenzen abgesagt.
Das Freischwimmer-Festival ist ein Kooperationsprojekt zwischen FFT Düsseldorf, Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt a. M., brut Wien, Gessnerallee Zürich und Sophiensæle. Alle beteiligten Häuser wählen gemeinsam nach einer Ausschreibung in der jeweiligen lokalen Performancenachwuchsszene gemeinsam Gruppen aus, die für das Festival eine Produktion erarbeiten. Anschließend gehen alle Produktionen gebündelt als Festival auf Tour. Nach dem Auftakt in Zürich, macht das Festival nun in Berlin Station.
Während der ersten Aufführung der Produktion in Berlin kamen wir, das Team der Sophiensæle, zu dem Schluss, dass der künstlerische Umgang mit einem Schriftstück aus den 1920er Jahren mit deutlich zu geringer kritischer Distanz vorgetragen wurde. Bei dem Text handelt es sich um einen Romanversuch des Großvaters des Darstellers, der über seine Zeit als Kolonialherr im heutigen Tansania schreibt und dabei seiner rassistischen Gesinnung deutlichen Ausdruck gibt.
Wir sind uns sehr darüber bewusst, dass es absolut nicht die Zielsetzung der Gruppe ist, rassistisches Gedankengut zu verbreiten. Sondern im Gegenteil, dass der Ansatz des Stückes ein explizit anti-rassistischer ist, der sich sehr kritisch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit des eigenen Großvaters auseinandersetzt. Aus diesem Grund, tut es uns gegenüber der extra angereisten Künstler_innen aufrichtig leid, dass wir die zweite Aufführung ihres Stücks in Berlin abgesagt haben.
Das Vortragen langer Passagen rassistischen Gedankenguts innerhalb von Vorstellungen in unserem Hause bedarf jedoch einer überaus sensiblen, reflektierten und diskursiven Rahmung – sowie einer Setzung innerhalb des künstlerischen Konzepts, die diese Wiedergabe notwendig macht. Für uns ist die künstlerische Entscheidung der Gruppe für einen affirmativen Umgang mit dem rassistischen Originalmaterial nicht mit den Diskursen vereinbar, denen wir uns als Haus verpflichtet fühlen. Diese Entscheidung fällten wir nach einer teaminternen Diskussion, die durch keinerlei Kritik aus Publikums- oder Kolleg_innenkreisen ausgelöst wurde. Wir kamen zu dem Ergebnis, dass wir als Team nicht hinter diesen künstlerischen und somit auch inhaltlichen Entscheidungen stehen können.
Aufgrund dieser Differenzen suchten wir das Gespräch mit der Performancegruppe mit Vorschlägen der Überarbeitung für die zweite Vorstellung. Von der Möglichkeit einer Publikumsdiskussion anstelle der Originalaufführung wurde im gegenseitigen Einvernehmen abgesehen. Nachdem die Änderungsvorschläge abgelehnt wurden, haben wir uns für eine Absage der zweiten Vorstellung entschieden. Diese Entscheidung treffen wir allein als Sophiensæle. Sie wirkt sich nicht auf den weiteren Fortgang des Festivals aus und spiegelt auch nicht die Auffassungen der anderen Kooperationspartner_innen des Freischwimmernetzwerks wider.
Leider habe ich das Stück „Leopardenmorde“ der Gruppe „K.U.R.S.K.“ verpasst, das ich sehr gerne noch sehen würde. Das disqualifiziert mich natürlich, über das Stück konstruktiv mitdiskutieren zu können. Da ich aber das Drumherum in Bezug auf die nicht ganz hohle Phrase der Schuld der „Linken“ für Trumps (1) und anderer Leute Wahlsieg für exemplarisch halte, möchte ich an diese Stelle ein Pladoyer für offene Diskussionen mit allen über alles und jeden und für die Freiheit der Kunst und der Sprache setzen. Dass der Veranstalter bei all seinen Vorbehalten darüber, ob der antifaschistische Anspruch gut eingeholt werde, nicht auf die Idee kam, in einem kritischen Publikumsgespräch nach der Inszenierung auf dieselben Vorbehalte hinzuweisen, wie man das unter einer konstruktiven Diskussionskultur von mutmasslich Gleichgesinnten erwarten würde, sondern dass der Veranstalter aufgrund „künstlerischer Differenzen“ dasselbe absetzte, dafür fällt mir kein anderer Titel als wiederum derjenige der selbst humorlos gewordenen Bahamas „infantile Inquisition“ ein. Ich finde es schon fragwürdig, ob man Rassisten oder Faschistinnen zensieren darf – reden soll man mit allen über alles jederzeit können dürfen. Aber dass der Veranstalter sagt, „dass der Ansatz des Stückes ein explizit anti-rassistischer ist, der sich sehr kritisch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit des eigenen Großvaters auseinandersetzt“, (2) und ebenso: „dennoch kamen wir, das Team der Sophiensæle, zu dem Schluss, dass der künstlerische Umgang mit einem Schriftstück aus den 1920er Jahren mit deutlich zu geringer kritischer Distanz vorgetragen wurde“ (ebd) ist einfach nur Unsinn.
Zur Diskussion auf Facebook (3) möchte ich anmerken: Es ist nicht wichtig, dass man diskutiert, ob man das Stück zeigen darf oder nicht, es ist wichtig, darüber zu diskutieren, um was es im Stück geht.
Aus dem eigenen oder fremden Unterdrücktsein eine Tugend zu machen und so zu tun, als könnte man durch die Abschaffung von Wörtern in der Sprache oder das Nichtzeigen von irgendetwas das abschaffen, auf was Wörter oder eine künstlerische Darstellung verweisen (aber worüber sie eben keine Macht haben), finde ich Unsinn. Das ist der Pfad, auf dem die Unterdrückung noch lange weiterbestehen wird und auf dem sie eben gerade nicht Gegenstand der Kritik wird. Soll nicht eine Kraft, die irgendetwas gegen die reaktionären Tendenzen bewirken kann, ihnen eine Offenheit entgegensetzen, ihnen entgegensetzen, dass wir keine Tabus kennen, dass wir die sind, auf deren Seite der Humor und die Ironie stehen, dass wir die sind, die zu diskutieren haben, weil wir nicht alles zu wissen vorgeben?
(1) Ich möchte, auch wenn das zur Werbekampagne des Verhassten beiträgt, alle Namen immer nennen können, wie ich will, und zensiere mich in einem Pladoyer für offenen Dialog sicher nicht selbst, indem ich mir verbiete, das Lable „Trump“ zu gebrauchen.
(2) Das Statement des Veranstalters http://www.sophiensaele.com/aktuell.php?IDakt=295&hl=de
(3) vgl. den Link im letzten Kommentar